Das Fach Geschichte an der Viktoriaschule
Welche Bedeutung hat das Fach Geschichte?
Nehmen Sie sich bitte ein paar Minuten Zeit, um diese Frage einmal genauer zu betrachten!
Geschichte zeigt, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben, Teil einer pluralistischen Gesellschaft und stolz auf unsere Werte wie auch auf unseren Wohlstand sind. Irgendwie wissen wir auch, dass es nichts Selbstverständliches ist, dass wir Demokratie immer wieder neu gestalten und leben können. Wir wissen natürlich auch, dass es den Menschen in einigen anderen Ländern nicht so gut geht wie uns. Uns ist schon bewusst, dass Werte, die in unserem Gesetz fest verankert sind, wie zum Beispiel die Meinungs- und Pressefreiheit, wie die Überzeugung der Gleichwertigkeit aller Menschen, wie das Recht auf politische Mitgestaltung –, dass solche Rechte in anderen Ländern nicht unbedingt existieren; dass Meinungen dort unterdrückt oder nicht zugelassen werden, dass JournalistenInnen oder WissenschaftlerInnen daran gehindert werden, ihre Meinung öffentlich zu vertreten, dass sie vielleicht angeklagt, verhaftet oder sogar getötet werden. Alles weit weg, und nicht bei uns.
Geschichte macht deutlich, dass wir in einer Zeit des grassierenden Rassismus und Antisemitismus leben, weltweit – und auch in unserem Land. Die Menschen, die glauben, unsere Gesellschaft vor Überfremdung schützen zu müssen, sind längst schon keine Randerscheinung mehr. Sie werden immer mehr und sie sind laut. Und ihre Thesen haben längst Eingang gefunden in die Mitte der Gesellschaft. Es werden Vorurteile geschürt, Ängste aktiviert, Menschen ausgegrenzt. Natürlich, das ist eine europäische Entwicklung – hier sind die Deutschen nicht allein. Aber sie sind dabei.
Geschichte erhellt, dass Menschen ihr Misstrauen gegenüber unserer demokratischen Grundordnung sowie ihre Ablehnung des bundesrepublikanischen Staates und seiner Behörden immer deutlicher artikulieren. Diese kommt sowohl aus dem politisch linken, dem rechten wie auch einem völlig undefinierbaren Spektrum. Das müsste uns wenig Sorgen machen, wenn nicht jüngere Studien (zum Beispiel: die aktuelle Shell-Studie) nahelegen würden, dass gerade auch Jugendliche bei all ihrem sicher begrüßenswerten politischen Interesse und Engagement doch eine immer stärkere Empfänglichkeit für populistische Parolen zeigen. Und wir befinden uns derzeit in einer Phase des populistischen Rausches.
Geschichte spiegelt, dass man relativ schnell an irreführende, populistische, nicht selten geschichtsrevisionistische Deutungen, klickt man zum Beispiel bei Youtube ein geschichtliches Thema rund um den Zweiten Weltkrieg oder dergleichen an. Neben sehr interessanten und durchaus lehrreichen Angeboten geraten Suchende schnell in einen braunen Sumpf, vor allem bei dem Blick in die Kommentare verschiedener User, die sich nicht schämen, wüste rassistische und sexistische Beschimpfungen, Verunglimpfungen jeder Art und falsche Behauptungen aufzustellen. Dasselbe erlebt man auch bei Kommentaren unter diversen Berichten der Internetpresse. Junge NutzerInnen sind dabei dieser Kanonade an Fehldeutungen und Verschwörungsnarrativen ausgesetzt.
Geschichte umgibt uns, sie ist allgegenwärtig – selbst für diejenigen, die ihre Bedeutung leugnen. Politiker argumentieren mithilfe von historischen Analogien: Denkmäler, Straßennamen, Gedenkfeiern und –feste sorgen für eine Erinnerungskultur, die identitätsstiftend ist. In einer Zeit, in der immer mehr Stimmen laut werden und für sich in Anspruch nehmen, für unsere Kultur und unsere Identität streiten zu wollen. Da ist es von Bedeutung zu wissen, was unsere Kultur und unsere Identität ausmacht.
Im Fach „Geschichte“ wollen wir historische Kenntnisse vermitteln. Sie sollen den Kindern und Jugendlichen eine Grundlage verschaffen, sich in einer Welt besser und sicherer verorten zu können. Wer die Vergangenheit kennt, dem kann man nicht so schnell ein X für ein U vormachen – wir halten das für wichtig in einer Zeit, in der historisch-politische Deutungen und Meinungen nicht selten in das Umfeld auch immer mehr Jugendlicher hineingreifen.
Wir wollen ein geschichtliches Bewusstsein erwecken. Jugendliche erfahren sich selbst als historisch, verstehen sich als historisch handelnde Personen. Dafür ist es von großer Bedeutung, wenn sie verstehen, dass es in der Vergangenheit wie in der Gegenwart nicht nur eine Sichtweise gab und gibt – Historiker sprechen hier von Mehrperspektivität.
Wir wollen eine historisch-politische Urteilsfähigkeit fördern. Nur durch die Kenntnis, den Vergleich und die methodische Abwägung wird man in die Lage versetzt, historische und gegenwärtige politisch-gesellschaftliche Phänomene beurteilen zu können.
Wir wollen eine politische Handlungskompetenz erstreben. Jugendliche sollen politisch mündig handeln können. Wer die Vergangenheit begreift, der wird im Stande sein, die Gegenwart nicht nur zu verstehen, sondern auch gestalten zu können.
Wir wollen starke Jugendliche, die sich zurechtfinden in einer politisch umkämpften Welt.
Wie können wir erreichen, was wir uns wünschen?
Wir bilden die Schülerinnen und Schüler methodisch aus. Sie lernen mit historischen Materialien umzugehen, sie lernen schriftliche und bildliche Quellen zu analysieren, sie verstehen den Bezug der Vergangenheit zur Gegenwart.
Wir möchten an unserer Schule die Kinder und Jugendlichen für ein Fach begeistern, das uns selbst begeistert. Wir unternehmen Exkursionen und versuchen, wenn möglich, Geschichte an außerschulischen Lernorten erfahrbar zu machen, so zum Beispiel in Ypern, wo eine der schlimmsten Auseinandersetzungen des Ersten Weltkriegs stattfand. In der Sekundarstufe II besuchen wir neben dem „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ in Bonn auch die NS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel. Eine ganz besondere Erfahrung für die Jugendlichen ist die mehrtägige Fahrt nach Krakau und Auschwitz in der Jahrgangsstufe EF. Hier ist eine besondere Vorbereitung erforderlich; die Erfahrungen, die junge Menschen hierbei machen, prägen sie für ihr weiteres Leben.
Mit den jüngeren Schülerinnen und Schülern gibt es immer wieder Ausflüge ins römische Xanten (Archäologischer Park) oder ins (urzeitliche) Neanderthalmuseum.
Im Fach „Geschichte“ geht es um das Wissen um die Vergangenheit. Aber dieses ist kein Selbstzweck. Es ist ein Baustein auf dem Weg zu einem selbstwirksamen und werteorientiert handelnden Individuum, das gewappnet ist gegen Manipulation und sich selbst als eine historische Persönlichkeit erfährt. Wir sehen unser Fach als Teil einer vielfältigen und ganzheitlichen Erziehung und damit als eines von vielen Elementen unserer Viktoriaschule.
Und ganz abgesehen davon, halten wir „Geschichte“ für das spannendste aller Fächer. 😉
Die Lehrerinnen und Lehrer der Fachgruppe „Geschichte“